Das abgelehnte Geschenk Kaiser Wilhelms I.
Als Wilhelm I. anläßlich eines Manövers seiner Truppen 1881 in Itzehoe Quartier bezog, bemerkte er in seiner deftigen Art:
"Hier ist wohl der Hund verfroren" und beschloß, der Stadt ein Geschenk der kulturellen Art zu machen. Stehenden Fußes
beauftragte er seinen Feld-Architekten Gustav Varenius mit der Planung eines Kunstpalastes für die Stadt. Varenius machte
sich umgehend ans Werk und entwarf in nur einer Nacht einen prächtigen mehrteiligen Prunkbau mit vielen Galerien, Ateliers
und Kabinetten. Die Präsentation des kaiserlichen Geschenkes am nächsten Mittag im Ständehaus der Stadt brachte allerdings
nicht die erwarteten Reaktionen. Die Honoratioren der Stadt waren auf den Ruf Wilhelms eiligst herbeigekommen, hatten jedoch
anderes im Sinn. Man erhoffte sich einen kaiserlichen Schiedsspruch im Streit mit einer Nachbargemeinde über das Recht, Vieh
zu handeln, und die Vertreter der Stadt waren in der Erwartung gekommen, Wilhelm habe extra aus diesem Grund ins Ständehaus
geladen. Die überschwängliche Besprechung der Pläne mit der Gustav Varenius seinen Entwurf präsentierte und die wohlwollende
Ansprache des Monarchen stießen auf keinerlei Begeisterung und enttäuschte Gesichter. Auf die ungläubige Frage des Architekten,
ob man denn in der Stadt keinen kaiserlichen Kunstpalast haben wolle, meldete sich ein leise gemurmeltes Stimmchen aus den
hinteren Reihen mit den Worten: "Nee, wi wulln allesamt lewwer nen Ossenmarkt hann." Da erhob sich der Kaiser würdevoll und
entgegnete ebenso ruhig wie sarkastisch: "So erteile ich von Gottes Gnaden der Stadt Itzehoe hiermit das Recht, Kuhhandel
zu treiben und beauftrage die Stadtoberen einen Ochsenmarkt für besonders große Rindviecher zu errichten." Worauf er mit seiner
gesamten Entourage den Saal verließ. Dieses Edikt wurde von den Stadtoberen mit großer Freude und unter allgemeinem gegenseitigen
Schulterklopfen aufgenommen. Insbesondere der letzte Nachsatz wurde im Folgenden so ausgelegt, daß sich die Stadt damit eine
Vorhandelsstellung für besonders kapitale Rinder gesichert habe und ein Ratsherr stellte schmunzelnd fest: "Du muß auch moal
einen ganzen Schinken liegen loaten können, wenn du deenem Nachbarn die Wurst vom Brot nemmen wills.."
Der Itzehoer Kunstpalast wurde jedoch nie gebaut.
Gustav Varenius, Feldarchitekt sr. Majestät.
Eine besondere Stellung unter den Baumeistern und Entwerfern im ausgehenden 19. Jhdt nahmen die Feldarchitekten ein.
Diese Berufsgruppe wurde ausschließlich von den größeren Herrscherhäusern beschäftigt und hatte die Aufgabe und die Pflicht,
ihre Landesherren ständig - insbesondere aber auf Feldzügen - zu begleiten. Sie sollten die Feldherren in die Lage versetzen,
der Bevölkerung einer eroberten Stadt aus dem Stegreif repräsentative Gebäude anzudienen - oder eine Entscheidungshilfe gewähren,
ob es sich lohnt, beispielsweise eine Anhöhe doch noch einzunehmen - wenn man dort ein Belvedere errichten könnte…….
Gustav Varenius gilt in Fachkreisen als wichtigster Feldarchitekt seiner Zeit. 1819 in Göteborg geboren und seit 1872
im Dienste Kaiser Wilhelms I. entwarf er über 200 Prachtbauten - von denen allerdings nicht ein einziger tatsächlich gebaut
wurde. Dennoch waren diese Entwürfe stilprägend und beeinflußten zeitgenössische wie nachfolgende Architekten maßgeblich.
Als Schüler von Karl Friedrich Schinkel fühlte er sich der Romantik wie auch der Antike gleichermaßen verpflichtet, ohne
einem allzu eklektizistischem Klassizismus zu verfallen. Er starb 1911 in St Petersburg.
Varenius Entwurf für den so genannten "Itzehoer Kunst-Palast" zeigt nicht nur ein großzügig geplantes Bauwerk,
sondern auch eine Ideal-Vorstellung der Künste in ihren Ausrichtungen und in ihrem Anteil in der Gesellschaft.
So hat Varenius jeder aktuellen Kunstgattung der damaligen Zeit einen Raum eingeplant, der nicht nur als körperlicher Raum -
im Sinne von "Platz" - dienen sollte, sondern auch ein Sinnbild für eine geistige Haltung und einen gedanklichen Raum darstellt.
Für die Kartusche an der Mittelfassade des Gebäudes hatte er sich folgenden Sinnspruch erdacht: "Der Zeit ihre Kunst - der Kunst
ihren Raum", in dem er eindeutig den Anspruch der Künste auf ihre Rechte hervorhebt.